Berichte von 05/2012

26.05.2012 – House Hunting 3. Tag

Sonntag, 27.05.2012

Es wird. Nachdem ich Anfang der Woche meinen Unmut über die Zeitverschwendung deutlich losgeworden bin, gab es ein paar Gespräche auf chinesisch, um den Agent wieder zu motivieren (?!). Sie hat mir am Samstag erstmal eröffnet, dass sie wegen mir nicht hätte schlafen können, dafür mir dann jedoch ein paar wirklich gute Häuse gezeigt. Es nutzt nix, wenn man etwas haben möchte, muss man immer sehr deutlich werden, sonst wird nur der Weg des geringsten Widerstands und minimalen Aufwands beschritten. Zwar komme ich mir dabei immer komisch vor, die freundliche Bitte um Verständnis führt jedoch nirgendwohin. Jetzt bin ich gerüstet, um mit der Familie nächste Woche vernünftige Häuser anzusehen und hoffentlich auch zu entscheiden. Leider sind die Preise gegenüber letztem Jahr gestiegen, so dass jeder Vermieter ohne mit der Wimper zu zucken schlappe 15% mehr als letztes Jahr fordert.

Mein Fahrer entpuppt sich als der Nachfolger von Walter Röhrl, er spart mir auf der einfachen Strecke ins Büro 10 min im Vergleich zu seinem Vorgänger. Man muss sich dran gewöhnen, dass er Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht wahrnimmt und jede Lücke im Verkehr ausnutzt, dann ist es OK. Sogar meine chinesischen Kollegen bezeichnen ihn als ‚fast‘, und das will was heissen. Lustig ist, dass er meinem GPS nicht glaubt, selbst, wenn er den Weg auch nicht kennt. Wenn das GPS auf der Autobahn ‚nächste Abfahrt raus‘ anzeigt (die bayerische Stimme versteht er ja nicht, vielleicht sollte ich die Chinesische laden), fährt er stur auf der 3. Spur weiter. Wenn ich es ihm dann sage, wird er auf der 3. Spur immer langsamer, bleibt aber dort, bis fast zum Stillstand. Und erst mit nachdrücklicher Anweisung gibt es dann im allerletzten Moment einen 90° Haken nach rechts, um gerade noch an der Leitplanke vorbeizukommen. Beruhigend ist, er ist nicht der einzige, der so fährt. Mein Auto ist auch wieder repariert, jedoch so stümperhaft, dass man die Delle in der Tür von weitem noch erkennen kann. Ich würde das nicht akzeptieren, schon gar nicht bei einem Auto, das noch nicht mal 4 Wochen alt ist. Cha bu duo!

Seitdem ich selber fahre, meist am Wochenende, habe ich sehr grossen Respekt vor den Taxifahrern. Es ist unheimlich anstrengend, da dauernd irgendeiner etwas Unvorhergesehenes macht. Wie man das den ganzen Tag durchsteht, ist bewundernswert. Ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass die dauernden Staus nichts mit dem Verkehrsaufkommen zu tun haben, sondern schlicht mit der Fahrweise. Wie oben schon erzählt, kann man jederzeit überall stehen bleiben, wenn man telefonieren, nachdenken, diskutieren, oder einfach warten will. Ein Beispiel: beim Heimfahren gibt es jeden Abend auf der Hochstrasse an einer Stelle einen grossen Stau, weil viele Autos ohne erkennbaren Grund auf einmal auf der Fahrbahn stehen. Jetzt weiss ich auch, warum: Autos mit ‚nicht-Shanghai‘-Kennzeichen dürfen tagsüber nicht auf der Hochstrasse fahren, erst ab 1900 Uhr abends. Und was macht man, wenn man 30 min früher dran ist? Genau, einfach stehenbleiben und warten. Offensichtlich kostet es eine Strafe, verboten auf der Hochstrasse zu fahren, nicht aber, dort rumzustehen. Ich komme jetzt nicht wieder mit den 80 Extrafragen beim Führerschein zu den Hochstrassen in Shanghai, wer möchte sich schon mit theoretischem Kram aufhalten?

23.05.2012 – Der Frosch und das Weissbier

Sonntag, 27.05.2012

Ich hatte ein paar Kollegen aus Asien zu Besuch, das ist immer ein Anlass, zusammen Essen zu gehen. Vermutlich könnte man sich das ganze Workshop Gerödel auch schenken und einfach gleich essen gehen. Das hilft dem gegenseitigen Verständnis wesentlich mehr. Erfreulicherweise sind alle ziemlich vernünftig, d.h. wir haben wirklich nur gegessen, weder gesungen (wurde mir aber schon angedroht) noch gesoffen. Irgendwann kommt ja immer das unvermeidbare Thema, was denn Essen. Fischkopf ist ja eine Delikatesse und wurde mir wärmstens empfohlen. War einfach, wir haben die Synergien genutzt: ich esse den mittleren Teil, meine chinesischen Kollegen dürfen den delikaten Kopf ganz für sich haben. Und dann die Frage nach dem Frosch, it‘s delicious, so sagt zumindest unsere Assistentin. Meine unvorsichtige Antwort war: wenn ihr es mir vorher nicht sagt, ist es vermutlich nicht ganz so schlimm. Den Rest könnt‘ Ihr Euch denken: Als ich am nächsten Tag wissen wollte, was das für dünnes Zeug in dem Topf ist: try first! Schmeckt allerdings wirklich gut, die Franzosen wissen schon, was sie tun, nicht nur die Chinesen. Typisch ist halt wieder, das es ein ganzes Tier ist, das da in dem Topf liegt. Und dieser Anblick bleibt gewöhnungsbedürftig.

Leider mussten wir das Restaurant verlassen, bevor die ‚lights out‘ Show am Bund ablief, im Sommer ist das erst um 2300 Uhr, die Restaurants machen alle um 2200 Uhr zu. In China isst man ja bereits um 1800 Uhr. Wir hatten schon den ganzen Bund abgelaufen, sind von der Anlegestelle zum Restaurant gelaufen, dennoch wollte keiner heim, also war die Frage, wohin? Unsere Assistentin ist tapfer auf den High Heels mitgelaufen, und hat uns dann ein irgendwie deutsches Bierlokal in der Nähe empfohlen. Und was war’s? Paulaner Biergarten mit Holzbänken direkt am Fluss mit Blick auf den Bund! Keine schlechte Sache, vor dieser Kulisse ein Weissbier zu trinken, 6 Weissbier zum Freundschaftspreis von 70 Ohren. Und das liegt nicht nur daran, dass der Euro so schlapp geworden ist, momentan auf Tiefstkurs unter 8 RMB. Deer grössere Aha-Effekt war, dass das Weissbier nicht oder zumindest anders schmeckt. Warum auch immer, zur Feier meines Führerscheins habe ich zum ersten Mal meinen Vorsatz gebrochen und mir im Laden ein Weissbier aus der Dose gekauft, und der Geschmack war wie erwartet. Aber das Zeug schmeckt komisch. Man kann halt nicht alles haben, für die Aussicht muss man halt ein wenig investieren und sich an andere Geschmäcker gewöhnen. Ich muss zugeben, der Geschmack vom Frosch war besser.

20.5.2012 – House Hunting 2. Tag

Sonntag, 27.05.2012

Um es kurz zu machen, der 2. Tag unterscheidet sich nicht stark vom ersten. Es gab ein paar Highlights, aber kein wirklich geeignetes Haus. Ein paar der Häuser waren von chinesischen Familien bewohnt. Ich wollte natürlich alle Zimmer sehen, und bin beim ersten Mal ziemlich erschrocken, als sich im halbdunklen Raum neben mir jemand im Bett umgedreht hat! Man kann ein Haus und das Zimmer also auch herzeigen, wenn der Opa gerade schläft. Offensichtlich habe ich ihn aufgeweckt, er ist danach ziemlich missmutig durch’s Haus geschlurft. Fazit: die Häuser waren entweder teuer, zu gross, weit von der Schule weg, oder es gab keine vernünftigen Kinderzimmer. Ganz stolz wurde mir mehrere Kinderzimmer gezeigt, die mit King Size Betten mehr oder weniger ausgefüllt waren. Mein Hinweis, dass das für Kinder nix ist, führte jedesmal zur Gegenfrage: wie alt? Als ich das mit 14 beantwortet habe, war der Hinweis: dann ist das grosse Bett schon OK! Warum habe ich typisch deutsch vorher meine Kriterien per email verschickt? Keine Ahnung.

19.05.2012 – House Hunting 1. Tag

Samstag, 19.05.2012

Und wir brauchen ja noch ein Haus. Nächste Woche kommt die Familie, nach 2 Monaten wird es auch Zeit, und ich wollte ja vorsortieren. Und: heute fängt mein neuer Fahrer an.

Begonnen hat es damit, dass sich ausgerechnet heute das Wetter mit einem Schlag von über 30°C auf Regen und 20°C geändert hat, und ich deshalb nicht Laufen gegangen bin.

Weitergegangen ist es damit, dass sich unser Agent und der Fahrer nicht auf die Route einigen konnten und sich im Auto gestritten haben, wie jetzt fahren. Das Ergebnis war, dass er mehrfach mitten auf der Kreuzung oder der mehrspurigen Strasse stehen geblieben ist, um das Thema erstmal auszudiskutieren. Dann ist mir sein hektischer Fahrstil auf die Nerven gegangen, und seine völlige Unempfindlichkeit gegen Schlaglöcher, selbst ich sehe sie aus der zweiten Reihe, er sitzt schliesslich wie bei ARD in der ersten, und fährt wie beim Fahrwerkstest mittendurch. Mal sehen, wie alt wir beiden werden. Beim Mittagessen hat er auch noch angefangen, den Überstundenzuschlag zu diskutieren. Morgen fahre ich selber.

Fazit: es gibt Häuser, die sind komisch umgebaut sind, oder komisch eingerichtet sind. Manche sind nagelneu, und alle Zimmer haben Riesen-Doppelbetten, das macht für ein Kinderzimmer gar keinen Sinn. Von allen, die ich mir heute angesehen habe, kommt nur eins in Frage, und das wird gerade umgebaut. Noch dazu ist es riesig, hat einen Innenhof, und ist damit sicher ein energetisches schwarzes Loch. Jetzt baue ich erstmal drauf, dass die Regel gilt, am Anfang wird nur der Schrott gezeigt. Jedoch habe ich ein paar interessante Dinge gelernt: Auf meine Frage, warum die Geschirrspülmaschine so klein ist, ich bräuchte wegen der Familie eine grössere, war die Antwort: die braucht man gar nicht, die Ayi ist schneller! Und bei einem Haus wurde ich drauf hingewiesen, das darin der Opa gestorben ist, falls mir das etwas ausmachen würde…

Auf der Heimfahrt habe ich mir noch SIM Karten gekauft, superlustig: man geht in einen ‚Laden‘, ungefähr 2 qm an der Strasse, der Verkäufer klappt ein Buch auf, in dem handgeschrieben (!) alle Nummern stehen, die er zu verkaufen hat, und dahinter die Preise. Grundsätzlich kauft man eine Karte, auf der bereits ein Guthaben ist, die Preise sind aber alle unterschiedlich, sie schwanken zwischen 90 und 450 RMB, warum? Das liegt an den Nummern: Telefonnummern mit einer 4 sind billig (4 = Tod), je mehr 8er, desto teurer (8 = Glück). Wie gut, das unsereins nicht abergläubisch ist.

Zum Schluss noch ein bisschen Statistik: Shanghai hatte zum Ende 2011 23,47 Mio. offizielle Einwohner, und ist damit um 455.000 gewachsen. Das sind 3.702 Menschen/km². Die Geburtenrate hat sich auf 107 Jungen zu 100 Mädchen verschoben, macht aber nichts, da Jungs eh eine geringere Lebenserwartung haben. Eine durchschnittliche Wohnung kostet 2,88 Mio.RMB bei einem Durchschnittseinkommen von 51.968 RMB, pro Jahr! Dennoch wird gebremst, die Einwohner Shanghais dürfen nur noch zwei Wohnungen pro Nase kaufen (der Opa, die Oma, der Onkel, das Kind, …), um dem Spekulantentum vorzubauen, Stadt-Fremde nur noch eine. Shanghai hat jetzt 1,7 Mio. Autos, jeden Monat werden 8.500 Neuzulassungen versteigert,im März gab es dafür 22.706 Bewerber, der Preis liegt jetzt über 60.000 RMB, damit ist es das teuerste Stück Blech auf der Welt.

Und ganz zum Schluss: gerade war li xia, ein etwas schwierig nach dem Mondkalender zu berechnendes Datum, wenn danach die Temperatur an fünf aufeinanderfolgenden Tagen höher ist als 22°C, dann ist offiziell Sommer!

16.05.2012 – Ich darf wieder

Samstag, 19.05.2012

Alle Fragen korrekt beantwortet, der Beamte war völlig ent- und begeistert, seit Mittwoch habe ich einen chinesischen Mopedführerschein. Den für’s Auto auch, stimmt, aber den brauche ich eigentlich gar nicht. Wenn nicht das Foto drauf wäre, könnte es auch sonst was sein, warum sie entschieden haben, meinen Namen auf Chinesisch draufzuschreiben, weiss ich nicht. Ohne Foto würde ich nicht mal erkennen, dass es meiner ist. Übrigens war auch diese Prozedur, von ‚wo findet denn hier die Prüfung statt‘ bis ‚welches Dokument fehlt Ihnen‘ wieder nur mit chinesischer Hilfe zu meistern. Ich muss mich damit abfinden, ich kann nicht lesen, nicht schreiben, nix organisieren, nicht Fahren (bis heute) und es gibt nur ein Fernsehprogramm.

Das ist wieder an ganz neues Lebensgefühl, wenn mir jetzt mein Fahrer wegläuft, muss ich das Auto wenigstens nicht schieben. Und auf dem Weg zu Ikea, dem Media Markt oder dem Carrefour, muss ich nicht immer mit der Aussprache eines Taxifahrers hadern, dafür aber den Weg selber suchen.

Und dann war da ja noch die Auflösung des Rätsels! Frage 5.9.1.6: Antwort A; Frage 7.1.1.2: Antwort C; Wer mehr als 90% richtig hat, bekommt einen chinesischen Mopedführerschein.

Jetzt fehlt mir nur noch das Moped. Das werde ich jetzt auf meiner Liste der notwendigen Alltagsdinge ganz nach oben schreiben. Zuerst habe ich mal meinen netten Meister in der BMW Niederlassung angemailt, ob er mir hier in Shanghai jemanden nennen kann. Statt der Anschaffung einer Changjian könnte ich ja auch die Gummikuh hier einsetzen, wenn das geht.

12.05.2012 – Japan/Kyoto

Samstag, 19.05.2012

Da es mein Job so mit sich bringt, war ich eine Woche in Japan. Auf dem Weg zu Fuss ins Büro war irgendwas falsch, hat ein wenig gedauert, bis ich es realisiert habe: kein Hupen auf der Strasse, kein überfüllter Bürgersteig, und auch keine Gefahr, von vorn oder hinten plötzlich von einem Zweirad überfahren zu werden. Japan ist nicht China, einfach nur ein ruhiges, westliches Verkehrsgeschehen. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt. Und irgendwas hat mich irritiert, es waren genau 3 Dinge, so schnell passt sich der Mensch an seine Umgebung an: Familien haben mehr als ein Kind, an der Ampel bleiben alle stehen, wenn die Fussgänger grün haben, und es gibt Mopeds auf der Strasse, und zwar richtige und richtig viele – und auch die warten auf die Fussgänger. In China ist alles drei unvorstellbar.

Obwohl schon mehrmals erlebt, die japanische Perfektion ist einfach irre. Und nun kenne ich auch die Erdbeben-App: Sie monitort die Erdbeben über eine Zentrale, listet alle Beben auf, und bei einem angekündigten Erdbeben der Stärke über 3 in der Nähe meldet sich das Handy. Jedoch meist nur mit einer Vorwarnzeit von 10 bis 20 Sekunden. Als ich meinem Kollegen erzählt habe, dass ich in Japan noch nie ein Erdbeben erlebt habe (stimmt wirklich), war er völlig erstaunt, hat mir sein Handy gezeigt, und siehe da, das letzte war in der letzten Nacht, hat nur keiner gemerkt. Zu dem gesamten Fukushima-Thema kann ich wenig sagen, im japanischen Alltag kommt es nicht vor, und vermutlich muss jeder selbst entscheiden, ob er hinfährt oder nicht. Wenn man mal da ist, macht das Nachdenken auch keinen Sinn mehr, ausser man will eine Woche Heilfasten. Ein Kollege hat mir stolz erzählt, dass er an den vergangenen freien Tagen (golden week, da war es auch einfach, die AKW abzuschalten, ganz Japan kommt in der Zeit zur Ruhe) in der Gegend von Fukushima war, um dort in heissen Quellen zu baden.

Gestern Abend bin ich mit dem Tokaido-Shinkansen nach Kyoto gefahren, der ältesten Linie des Bullet Trains, eröffnet 1964. Ich wollte um 2030 Uhr fahren, die Auswahl war 2029 oder 2039 Uhr, d.h.er fährt jede 10, manchmal auch 6 Minuten, fast 24 h am Tag! Und das bei knapp 300 km/h, Haltezeit am Bahnhof genau 60 Sekunden, dann geht es pünktlich weiter. Der Spass ist nicht billig, aber wo kann man schon auf die Sekunde genau auf einer Kanonenkugel fliegen?

Kyoto habe ich mir per Fahrrad angesehen, man kann für wenig Geld Fahrräder leihen, und damit die Tempel und Paläste erradeln. Die Tempel sind ganz nett, es ist nicht ganz so wie ‚kennst Du einen kennst Du alle‘, ein bisschen aber doch. Wie immer, alles bestens organisiert, d.h. man läuft nicht irgendwie durch die weitläufigen Anlagen, sondern ordentlich auf einem abgesteckten Pfad. Vermutlich fühlen sich die Besucher damit auch sicherer, in dem Herdentrieb vor allem am Sonntag kann man nicht verloren gehen oder sich gar verlaufen. Schick ist die ‚Grüner Tee‘-Pause mit einem als Kuchen getarnten Stück Zucker, die es in jedem Tempel gibt, der etwas auf sich hält. Zu der Nouvell Cuisine verdächtigen Menge passt der Preis, der der gleichen Idee zu entstammen scheint. Macht nichts, es hat was. Dazu gehören die schier endlosen Höflichkeitsformeln, mehrfach wiederholtes arigato gozeimasu, mit einer Satzmelodie, die einem lange im Ohr bleibt. Keine Ahnung, wie oft am Tag eine Bedienung oder ein Mädel an der Rezeption das sagen muss, vermutlich träumt sie nachts davon.

 

Radeln in Kyoto ist eher unjapanisch chaotisch, man glaubt es kaum. Es geht sowohl Bürgersteig wie Strasse, und auf dem Bürgersteig geht in beide Richtungen, egal wie breit, wie voll, und wieviel los. Noch interessanter ist, dass es keinen eindeutigen Linksverkehr auf dem Fahrrad geht. Die Regel, wann wie ist mir verborgen geblieben, vermutlich gibt es keine (sonst würde der Japaner sie ja befolgen). Unterschätzt habe ich anfangs die Entfernung, es war doch weiter als es auf dem Stadtplan ausschaut, und den Verkehr. Zwar fährt einen keiner um, so angenehm ist das Fahren auf den Hauptstrassen dann aber doch nicht. Irgendwann habe ich dann angefangen, in den Parallelgassen zu fahren, das kann ich nur empfehlen, man sieht sehr viel. Die schmalen Häuschen sind die Wohnhäuser, und es ist deutlich entspannter. Und da es ein Schachbrettmuster ist, ist die Orientierung einfach, ich kann nur zum Nachmachen auffordern. Leider hatte ich meine Laufschuhe nicht dabei, es gibt einen prima Pfad am Fluss entlang, das wäre die Chance gegenüber China gewesen.

Im (Touristen-)Stadtteil Gion gibt es neben netten Häusern viele Geishas auf der Strasse. Der Stadtteil ist dafür berühmt, warum es die gibt, musste ich nachlesen: es sind Azubis (Maikos), die dort als Geisha ausgebildet werden. Das erklärt auch, warum es alle Altersklassen von geschätzt 16 bis deutlich älter gibt.

Nach den 2 Tagen Radeln und am Schluss einen Sonnenbrand auf der Nase wollte ich nur noch schnell mit dem Bus zum Flughafen fahren und Heimfliegen. Da ich weder den Weg auf die andere Seite des Bahnhofs gefunden habe, noch danach die Bushaltestelle, war ich genau um 1629 Uhr am Bus, ohne Fahrkarte. Die hat mir noch schnell der nette Gepäckjunge besorgt, damit der Bus nach Fahrplan um 1630 abfahren kann, und planmässig um 1758 am Flughafen ankommt (war dann genau so). Shanghai Airline ist diesmal nur eine ¾ Stunde später geflogen…

01.05.2012 – mit dem Fahrrad durch Shanghai 2

Dienstag, 01.05.2012

Heute ist der 1. Mai, leider habe ich keinen Maibaum zum Klauen gefunden und auch niemanden, der mit mir in den Mai tanzt (kann aber nur daran liegen, dass ich nicht ordentlich gesucht habe). Und warum auch immer ist Google heute tot. Zum Glück gibt es noch Yahoo.

Vor 2 Tagen war ich mit einem Freund von einem Freund essen, der schon 10 Jahre hier lebt: Rostbraten mit Bratkartoffeln?! Gestern war ich Burger essen (Montags ist im Blue Frog Burgertag), danach habe ich mir Semmeln gekauft und im City Shop Frischkäse für 68 Kwai, stimmt, das sind 7,50 €! Und heute eine Pizza, 120 Kwai. Nach allen Literaturstellen durchlebt der gemeine Expat emotionale Höhen und Tiefen, mir scheint, es gibt kulinarische Zyklen. Demnächst gehe ich wahrscheinlich Schweinshaxn essen, gibt’s im gleichen Laden wie den Rostbraten!

By the way, der Freund eines Freundes hat vielleicht eine Adresse für eine Changjiang…, Mann weiss ja nie. Übrigens gibt es jetzt sogar eine App für die Führerscheinprüfung. Gar nicht schlecht, langsam überzeugt mich das IPhone doch. Vor allem die Map-Funktion hat mich schon mehrfach gerettet.

Heute habe ich entschieden, mit dem Fahrrad in und durch die Stadt zu fahren. An der Ampel gibt es immer wieder erstaunte Gesichter, wenn die bayerische Garminstimme aus meinem Rucksack ‚abbiagn‘ sagt. Es hat perfekt, das Ding einfach oben in den Radlrucksack (der rote!!, Insider wissen Bescheid) zu stecken, die Stimme ist laut genug, dass ich danach fahren kann.

Funktioniert ganz gut, die Regeln sind glasklar (ein wenig anders als in der Prüfung verlangt): der Grössere weicht grundsätzlich nicht von seinem Kurs ab, je grösser man ist, desto mehr geht. Und es ist alles möglich, gibt es eine Steigerung von ‚alles‘? Mehr als alles gilt für die Klasse Cayenne etc, besonders mit Chinesin am Steuer, die Mädel fahren sehr langsam, aber so, als wären sie ganz alleine. Das Prinzip ist, ein hinter mir gibt es nicht, was vor mir ist folgt dem Gesetz der Grösse. D.h. plötzliches Stehenbleiben, Abbiegen, Rückwärtsfahren (machen Chinesen nur, wenn nach längerem Nachdenken wirklich keine Alternative bleibt) oder Umdrehen auf einer sechsspurigen Strasse sind an der Tagesordnung. Und alle fahren mit stoischer Miene drumherum, bloss nicht das Gesicht verziehen.

Irgendwann beim Rumradeln sind mir die ‚Fahrrad verboten‘ Schilder aufgefallen, und da ich nicht der einzige war (aber es waren nur sehr wenige), habe ich sie ignoriert. Bis zur 5ten Kreuzung, es kam wie es kommen musste: Mit der Trillerpfeife laut und bestimmt ins Abseits gestellt. Sozusagen ein Elfmeter für den grinsenden Hilfspolizist. Ich habe zwar kein Wort verstanden, die Botschaft war dennoch eindeutig, aber Dummstellen soll ja helfen. Leider hat er mich direkt an einen höflichen, sehr gut englisch sprechenden Mopedpolizist weitergereicht; der gerade dabei war ein anderes 2-Rad abzukassieren. Netterweise hat er mir erklärt, dass es hier verboten ist und mir den Weg erklärt, wie ich erlaubt an mein Ziel komme. Schwein gehabt, Expatbonus, das geht vermutlich auch nicht mehr lang. Zum Glück war der Garmin gerade still.

Es ist tatsächlich so, dass grössere und belebte Strassen für 2-Räder gesperrt sind, gleichzeitig existiert ein vollständig ausgeschildertes Netz an Fahrradstrassen, mit eigenen Ampeln. Diese Wege verlaufen abseits der grossen Verbindungen, also bin ich durch Wohnstrassen und kleinere Strässchen mit vielen Geschäften geradelt, immer an den Platanen (fermiana platanifolia, Phönixplatane) entlang, die auf jeder Seite stehen. Da würde ich auch wohnen wollen, macht einen unheimlich netten Eindruck, hätte ich sonst nie gefunden.

Langsam schärft sich der Blick: an fast jeder Kreuzung steht ein Mopedpolizist und schreibt gerade einen auf, und sehr viele Radler sind Langnasen, zumindest in der Gegend von heute. Beides ist mir beim Autofahren nicht aufgefallen. Das Shanghaibild ist völlig anders, s.o., vom Auto oder der U-Bahn (ja ich weiss, ist unter der Erde, aber es gibt 2 Linien auf Stelzen) aus sieht es durch die Hochstrassen und den Massenverkehr viel mehr nach Megacity aus, der heutige Eindruck ist mit München Schwabing vergleichbar.

Zum Abschluss ein paar Zahlen aus der Shanghai Daily: Besucherrekord in der Metro, erstmals mehr als 7,21 Mio Fahrgäste/Tag, macht aber nichts, in Kürze werden 7,5 Mio/Tag erwartet. An den 5 belebtesten Haltestellen wie People Square wird an Feiertagen Militär eingesetzt, um den Massen Herr zu werden. Shanghai hat die niedrigste Geburtenrate der Welt mit 0,7 Kindern pro Frau, dennoch sind in Kürze 500.000 Kindergartenplätze pro Jahr notwendig. Es stehen immer mehr Lebensmittelskandale mit Pestiziden in der Zeitung, im Moment ist Lipton Tea (Unilever) in den Schlagzeilen, und das Rauchen wird verboten (ich glaube jedoch nicht wegen der Luftverschmutzung. Der API liegt im Moment bei 44, nach knapp 100 Mitte letzter Woche). Und zum ersten Mal stieg der Auktionspreis eines Nummernschilds über 60.000 RMB, bei 8.000 Bewerbern für 5.000 Schilder.