Berichte von 09/2012

29.09.2012 – der schwarze Santana und die Monatskarte

Samstag, 29.09.2012

In jedem Land gibt es Autos, vor denen man sich in Acht nehmen muss. In Italien ist es der legendäre weisse Uno, in Shanghai ist es der schwarze Santana. Jedes Mal, wenn ich den entgegenkommenden Radfahrer umschifft, auf den Handkarren gewartet, den Seitencrash mit dem E-Mobil erfolgreich überstanden habe, und einfach nur weiterfahren will, steht plötzlich ein schwarzer Santana quer vor mir, und bewegt sich mit Schrittgeschwindigkeit so, dass Überholen unmöglich ist (obwohl das in Shanghai eigentlich immer geht). Das ist ein bisschen so wie Harry Potter, es geht nicht mit rechten Dingen zu. Sie tauchen plötzlich auf und sind auf einmal wieder weg. Wer mir das Rätsel auflösen kann, bitte melden. Ja ich weiss, es sind alte Behördenfahrzeuge, die heute als illegale Taxis unterwegs sind, aber das ist, glaube ich, nur Tarnung. Komischerweise sind sie immer gleich dreckig, und der Fahrer ist der Welt völlig entrückt. Oder ist es immer dasselbe Auto, auf das ich treffe? Der Santana wird seit 1983 fast unverändert in China gebaut, vielleicht ist der Fahrer auch von damals. Er ist heute immer noch zu haben, und wird als Taxi gefahren – und die haben alle Farben, nur nicht schwarz. Schwarz sind und waren in China die Fahrzeuge der Offiziellen, die die ersten stolzen Santanafahrer waren. Das weiss ich, seitdem man mir geraten hat, wie alle Chinesen ein schwarzes Auto zu kaufen, das sähe dann aus wie ein hoher Beamter. Zurück zum Thema, erst ist es mir nicht aufgefallen, aber irgendwann war es nicht mehr zu verdrängen. Es hat etwas Magisches. Es scheint eine Armee zu sein, die kontinuierlich unterwegs ist und sich wie von Geisterhand durch den Verkehr bewegt.

Wer ‚schwarzer Santana‘ googelt, der findet ein paar ganz interessante Seiten, darunter ‚Markus in China‘, dort gibt es ein paar Bilder zu Shanghai😉

Und da es verschiedene Möglichkeiten gibt, mit Geistern auf der Strasse umzugehen, ist mir jetzt aufgefallen, wieviel Glück ich habe: jeder, der Autoscooter zu langweilig oder dessen Wii kaputt ist, kann mich gerne besuchen und bekommt einen Tag mit meinem Fahrer gestiftet. Wenn ich die Beinahzusammenstösse als Stunteinlage verbuche, ist es ganz unterhaltsam. Und ich bin privilegiert, ich habe eine Monatskarte…Den armen Kerl, der auf der 3-spurigen G15 10 m nach der Ausfahrt auf der linken Spur stehen geblieben ist und verzweifelt den rechten Blinker gesetzt hat, habe ich vor Schreck nicht fotografiert (und ich dachte, ich sei abgezockt), aber das Bild ist authentisch:

 

Es gibt hier die mysteriöse Zeitverschiebung: ich wache jeden Morgen ohne Schwierigkeiten um halb sechs auf (senile Bettflucht?) und am Abend schaue ich bei gefühlten 22 Uhr auf dieselbe, und es ist schlappe 8 Uhr. Da es sehr früh dunkel wird, kommt es mir wie spät am Abend vor, obwohl der noch gar nicht richtig begonnen hat. Immerhin ist der Vorteil, dass ich mir problemlos den Wecker auf 0 Uhr stelle (Funkwecker auf MESZ ohne Funkempfang) und dann auch ganz easy aufstehe. Wäre zu Hause unmöglich.

Unsere Familie ist noch in der Hochphase. Unsere Kinder finden es toll, sie schreiben durch den Tunnel nach Hause, wie super es hier ist. Meist finde ich sogar den Weg in die Arbeit unterhaltsam, nur manchmal wird es unerträglich, wie stoisch mir kleine, grosse, alte, junge und Kleinkinder vor die Kühlerhaube fahren oder laufen. Mein neues Spiel beim Heimfahren ist, die Zweiräder zu zählen, die mir auf meiner Spur frontal entgegenkommen. Und wenn die Zahl zu gross und es damit zu einfach wird, dann zähle ich nur die mit Kindern unter 1 Jahr auf dem Arm. Wenn es mir gelingt, meinen Tunnel zu bauen, dann verweise ich mal auf meine Fahrfilmchen. Warum auch immer hat meine Tochter das problemlos geschafft, meiner endet immer im Dunkeln.

Zum Abschluss: es wird Winter, heute früh waren es nur noch 21°C, und heute Abend sogar 18°C, brrrrr.

Genug für heute, morgen fliegen wir nach Yunnan und verbringen dort unsere Golden Week.

23.09.2012 - Moon Festival

Montag, 24.09.2012

Am Sonntag ist Moon Festival, es gibt runde Kekse, deren Kaloriengehalt den von Powerriegeln für die Arktisdurchquerung mehrfach übersteigt. Rund müssen sie sein, da sich die ganze Familie im Kreis trifft, und ihre Zusammengehörigkeit bei Vollmond feiert. Man beschenkt sich gegenseitig mit den Keksen, und da man das schon seit hunderten von Jahren tut, mag die auch keiner mehr essen. D.h. sie werden permanent weiterverschenkt. Manche drucken Gutscheine und vekaufen sie für 10 RMB. Da sie niemand einlöst, sondern auch die immer weiterverschenkt werden, ist das ein gutes Geschäftsmodell: Kosten 2 Mao, Verkaufspreis 10 RMB. Wer sie am Schluss genervt zurückgibt, bekommt noch 6 RMB, dann ist die Gewinnspanne nur 40%.

Für uns heisst das, wir muessen am Sonntag nicht arbeiten! Da die ganze naechste Woche frei ist, das ist eine der beiden wichtigen Wochen im chinesischen Jahr, die frei sind, die andere ist das chinesische Neujahr. Und diese Woche wird am Wochenende reingearbeitet. Dieses Jahr ist der Sonntag allerdings der Feiertag - bingo! Für meine Kollegen ist das etwas ganz besonderes: wir haben 8 Tage am Stück freí, das ist sehr selten. Daher ist zu erwarten, dass sich mindestens 20% der Einwohner auf den Weg machen, wir sind gespannt. WIr wollen nach Yunnan! Ich wurde schon gewarnt, dort würden sich die Autofahrer nicht an die Regeln halten (wir haben einen Mietwagen). Meine Gegenfrage, in welchem Teil Chinas sich denn die Fahrer an die Regeln halten, blieb leider unbeantwortet.

Das Fest ist in China sehr wichtig, diese Traditionen werden ernsthaft gepflegt, und detailliert an die Ausländer weitervermittelt. Eine unserer Assistentinnen hat mir extra ein Mail geschrieben, in dem sie die Bedeutung des Fests erklärt hat, das füge ich hier ein, es ist zu schade, dass es einfach so verschwindet. Meinen Fahrer, die Ayi und die Kollegen habe ich auch beschenkt, ohne geht es nicht. So hat auch jeder was zum Weiterverschenken:

 For interesting readings:

 Mid-autumn Day is a Chinese festival.  It usually comes in September or October.  On that day we usually eat a big dinner and moon-cakes.  Moon-cake looks like the moon.  There are many kinds of moon-cakes.  They are small round cakes with meat, nuts or something sweet inside.  Eating moon-cakes has been our custom.  Families stay outside in the open air eat a big dinner and moon-cakes.  The most important thing is looking at the moon.  On that day, the moon looks brighter and rounder.  We call this moon the full moon.  On that day, families get together, so we call this day getting-together.

 There are two legends which claim to explain the tradition of eating moon-cakes.  One Tang Dynasty myth holds that the Earth once had 10 suns circling it.  One day all 10 suns appeared at once, scorching the planet with their heat.  It was thanks to a skillful archer named Hou Yi that the Earth was saved.  He shot down all but one of the suns.  As his reward, the Heavenly Queen Mother gave Hou Yi the Elixir of Immortality, but she warned him that he must use it wisely.  Hou Yi ignored her advice and, corrupted by fame and fortune, became a tyrannical leader.  Chang-Er, his beautiful wife, could no longer stand by and watch him abuse his power so she stole his Elixir and fled to the moon to escape his angry wrath.  And thus began the legend of the beautiful woman in the moon, the Moon Fairy.  It is said "Hou Yi" missed his wife, so he made moon-cakes.

 The second legend has it that during the Yuan Dynasty, an underground group led by Zhu Yuan Zhang was determined to rid the country of Mongolian dominance. The moon cake was created to carry a secret message. When the cake was opened and the message read, an uprising was unleashed which successfully routed the Mongolians. It happened at the time of the full moon, which, some say, explains why moon-cakes are eaten at this time.

 Moon-cakes are usually stamped with Chinese characters indicating the name of the bakery and the type of filling used. Some bakeries will even stamp them with your family name so that you can give personalized ones to friends and family. They are usually presented in boxes of four which indicate the four phases of the moon. Traditional moon-cakes are made with melted lard, but today vegetable oil is more often used in the interests of health.

 Moon-cakes are not for the diet-conscious as they are loaded with calories. The best way to wash down one of these sticky cakes is with a cup of Chinese tea, especially Jasmine or Chrysanthemum tea, which aids the digestion.

 

23.09.2012 – Faulheit siegt

Montag, 24.09.2012

Jetzt haben wir hier ein ‚richtiges‘ Wochenende verbracht, mit Grillen im Garten! Die tausend Mückenstiche haben wir überlebt, der dritte Einkauf Grillanzünder war erfolgreich, sozusagen ein voller Erfolg. Das Beste ist Fisch grillen, den gibt es beim Calleful sogar lebend. Rindfleisch ist schwieriger, Schweinefleisch gibt es in der Markthalle, zwar ungekühlt, sieht aber gut aus:

Inzwischen geht die eine Tochter regelmässig zum Ballett, ich gehe regelmässsig nicht zum Badminton, und im Krankenhaus waren wir auch schon 4 Mal. Eins unserer Mädels hat juckende Augen, eine Allergie, für die wir mal eben am Sonntag im Krankenhaus etwas Besserung besorgen wollten. Auch hier kann man 3 Stunden in der Notaufnahme verbringen. Am Donnerstag war sie nochmal da, damit der Augenarzt nochmal draufschauen kann, und konnte das gleich mit dem Besuch beim Orthopäden verbinden: sie hat sich beim Basketballspielen in der Schule den Finger angebrochen. Jetzt trägt sie eine Schiene, erstmal für zwei Wochen, dann sehen wir weiter.

Und wir werden faul, denn jetzt haben wir ja die Ayi. Am Wochenende ist es wunderbar zu beobachten, jeder versucht, irgendwo noch ein sauberes Stück Geschirr zu finden, während der Stapel in der Küche immer höher wird: denn wenn wir uns bis Montag früh retten, kommt dann Li Li und wäscht ab. Andererseits kann ich nichts mehr unvorsichtig irgendwo liegenlassen, es landet sofort in der Waschmaschine. Bäder werden täglich geputzt, dabei wird das Putzmittel in Hektolitern verbraucht. Man muesste es ihr ja nur sagen, wenn man wuesste wie.

Die Expats üben sich jetzt alle in Chinesisch- und sind mächtig soltz drauf. Jeder lernt und kann jetzt ein bisschen was. Und mehr oder weniger können alle das gleiche bisschen. Und je nach gestrickter Persönlichkeit versuche sich alle mit ihrem bisschen gegenseitig zu übertreffen: Ich weiss schon das Wort für Wolf, oder ich kann fehlerfrei drei Bücher kaufen! So kommt es dazu, dass 3 Erwachsene gleichzeitig einem Fahrer ein Ziel erklären, und sich wundern, warum der arme Kerl keine Ahnung hat, wo er hinfahren soll.

17.09.2012 – es wird ein zu Hause

Montag, 24.09.2012

Bisher bin ich das Gefühl nicht losgeworden, im Ferienhaus zu leben. Alle Möbel einschliesslich dem Bett gehören jemand anders, Teller und Besteck sind abgezählt, Ferienhaus halt. Also leben wir hier die ganze Zeit wie im Urlaub. Und jetzt ist das Haus voll, und alles ist auf einmal da, ob wir es brauchen oder nicht: Werkzeug, Jacken, Fahrradpumpe, Tischtennisplatte etc. Ich bin gespannt, ob wir die Einzugskurve schaffen: das ist die, aus der ich beim Einzug in ein neues Haus immer rausfliege. Sobald die Einrichtung so ist, das wir prinzipiell drin wohnen können, erlahmt die Motivation für den Rest schlagartig, gelebter Pareto. Glücklicherweise hängen schon alle Lampen, sonst würden wir sicher die nächsten Jahre mit der Designerglühbirne leben. Lustig übrigens, dass die in Deutschland jetzt verboten ist, das habe ich noch gar nicht versucht, meinen Kollegen hier zu erklären. Sie würden mich vermutlich nicht mehr ernst nehmen. Und wenn ich schon bei der Zeit bin, das erste halbe Jahr ist schon wieder rum, ich glaube, weiter Auspacken rentiert sich schon gar nicht mehr.

Jeden Morgen mache ich mich jetzt zur U-Bahn auf, da die Charakteristik des Strassenverkehrs nicht so einfach zu beschreiben ist, versuche ich es mal anders und habe mein iPhone eingesetzt. Wem es nicht zu fad ist, der kann ja mal reinschauen:

 Knapp daneben ist auch vorbei! Um Euch den Film zeigen zu koennen, muss ich ihn auf Youtube hochladen und hier den link einbauen. Da mir die great firewall Youtube sperrt, geht das erstmal nicht.

Und das Ganze nachts:

 Ich versichere Euch, der Film ist gar nicht so schlecht!

Ich habe ein paar Filmchen gemacht, die ich von Zeit zu Zeit einstellen werde, da sie so gross sind, geht der Transfer nicht so einfach.

Völlig unverständlich wird mir immer bleiben, warum junge Mütter auf einer mehrspurigen Strasse so leicht das Leben ihrer Kleinstkinder gefährden: es ist nicht ungewöhnlich, dass sie mit ihrem Säugling im Arm bei Rot diagonal über eine 6-spurige Strasse fahren. Man könnte ja sagen, es ist halt hier so, inzwischen habe ich einige schwere Unfälle gesehen, ich kann dem nichts abgewinnen. Aber ich bin ja nur Gast, und ohne mich würden sie es auch so machen, dennoch kann ich mit meiner europäischen Ethik nicht darüber hinwegsehen.

Wenn ich schon dabei bin: Als Ergebnis der 1-Kind-Politik gibt es jetzt eine öffentliche Diskussion, wie man mit Eltern umgehen soll, deren einziges Kind stirbt, und sie sind zu alt um ein neues zu machen. Klingt makaber, steht aber genau so in der Zeitung! Die Motivation der Diskussion ist dabei – einmal raten, was es sein kann – nicht das Thema Eltern und Kind, sondern schlicht die Altersversorgung. D.h. es wird diskutiert, ob diese Ehepaare im Alter eine besondere Unterstützung des Staates bekommen sollen.

Und das andere Ende ist auch in der Diskussion, es gibt wieder Match-Making-Events, ausgerichtet von der Shanghai Matchmaking Association. Allerdings wird es zum Reinfall: dort treffen 25-jährige Jungs, die keine Zeit, Lust oder schlicht keinen Erfolg für und bei der Suche haben, auf 28-jährige Mädels, die von der Toschlusspanik getrieben werden (der aufmerksame Leser weiss: 30 ist die Schallmauer, vor der vor allem die Eltern panisch werden). Und da in China die Frau jünger sein soll als der Mann, gehen danach alle frustriert wieder heim. Nur der Veranstalter behauptet, das ‚50% tie the knot afterwards‘!

Und wenn wir schon dabei sind: jetzt kostet das Shanghai-Nummernschild im Schnitt 66.000 RMB. Neueste Regel ist, dass man es erst nach 3 Jahren weiterverkaufen kann, um der Spekulation Einhalt zu gebieten. Das funktioniert bestimmt!

10.09.2012 – der Container ist da!

Samstag, 15.09.2012

Zuallererst: jetzt sind wir Chinesen auf Zeit, also Gastarbeiter. Jeder von uns hat sein Visum, und wir dürfen bis März nächsten Jahres jederzeit Ein- und Ausreisen.

Und dann: Es kam, wie es nicht kommen sollte, unser Container ist da, und wird genau dann geliefert, wenn ich unterwegs bin. D.h. ich war nicht nur nicht beim Einpacken dabei, sondern auch nicht beim Auspacken. Eigentlich hat es wunderbar geklappt, es war alles nach einem Tag im Haus, aber es ist fast kein Stück dabei, das nicht beschädigt ist. Und es liegt nicht an den Chinesen, unser Zeug war in Deutschland vermutlich unter Zeitdruck dilettantisch eingepackt worden: die Papierlampe als Unterlage für die CD, der Flachbildschirm ohne Dämmung neben dem Tower in einer Kiste, Originalverpackungen haben sie gleich in Deutschland liegen lassen und die empfindlichen Sachen so in die Kiste gelegt. Auch wenn manches nur billige IKEA Teile sind, dürfen wir jetzt dem Zeug hinterherlaufen. Aber vielleicht wird es mal modern, ein gefaltetes Poster aufzuhängen.

Dafür haben wir jetzt unser Zeug, und stellen fest, unser Haus ist zu voll. Nicht, dass das Haus zu klein ist, wir haben uns an die Leere gewöhnt, und jetzt steht überall was rum. Ein paar Sachen sind zusätzlich hier, die gar nicht hierher sollten. Die wollen wir wieder zurückschicken, zumindest das, was wir nicht verschenken wollen. Unsere vielen Umzugskartons dürfen wir übrigens nicht wegwerfen, die nimmt die Ayi mit (haben wir jetzt auch) und macht sie zu Geld. Wie unsere Plastikflaschen, alles wird per Elektroroller abtransportiert.

Wir fahren jetzt wieder Fahrrad, Bäcker, Supermarkt, Schule und Restaurant sind gleich um die Ecke, das ist fast wie zu Hause. Und es wird jetzt kalt: Heute waren es nur noch 26°C, und bei Wind habe ich in der kurzen Hose gefroren, der Winter kommt bald. Nachdem wir unser Haus jetzt permanent gekühlt haben, kommt jetzt in Kürze das Heizen. Der Mensch ist in solchen Gegenden einfach nicht überlebensfähig.

07.09.2012 – Seoul

Samstag, 15.09.2012

Reisen bildet, angeblich, also haben wir beschlossen, uns Seoul anzusehen, liegt nur 1,5 Flugstunden von uns entfernt, plus 1 h Fahrt zum Flughafen, 1,5 h Fahrt vom Flughafen, und die übliche Stunde am Flughafen vor Abflug. Oder auch 3 Stunden, kann vorkommen. Und es kommt vor. Geplant haben wir ganz elegant, 6 Uhr wegfliegen, um halb neun ankommen, Seoul ist eine Zeitzone weiter, und gemütlich mit dem Bus ins Hotel. Nach dem Einsteigen ins Flugzeug erst die Info, dauert noch etwas, bis sie schliesslich am Boden das Essen ausgeteilt haben (leider nicht das Bier!). Warum? Nachmittags gab es ein paar Gewitter, und da wurde der Flughafen geschlossen, und jetzt wollten alle gleichzeitig weg, wir waren angeblich Nr. 20 in der Reihe. Nun kann man überall nachlesen, dass Shanghai 7 Startbahnen hat. Stimmt fast, es sind 2 in Hongqiao (der alte SHA Flughafen), und heute 3 in Pudong, 2 weitere im Bau für das chinesische Flugzeugprojekt. Wie lange dauert es nun, um 20 Flugzeuge mit zusätzlich ein paar Landungen auf 3 Bahnen zu starten? Ganz einfach, es dauert 3 Stunden. Denn alles läuft exakt über eine Startbahn! Vielleicht sind die anderen beiden in der Wäsche. Wenigstens hatten wir genug Zeit zum Essen.

In Seoul waren wir um Mitternacht, der Bus fuhr schon lange nicht mehr, die U-Bahn auch nicht, dafür das bequeme Taxi zum weniger bequemen Preis. Um halb zwei waren wir endlich im Bett.

Seoul ist zuerst mal – still! Auf die Gefahr, dass ich mich wiederhole, aber es ist einfach ruhig, kein Hupen, kein aggressiver Verkehr, fast langweilig. Angeblich sind die Koreaner die Italiener Asiens, japanische Frauen bevorzugen Koreaner, sie seien netter, besser erzogen und angezogen. Beim Autofahren ist nichts Italienisches zu entdecken. Permanent wird vor dem Traffic Jam gewarnt, den es zwar gibt, aber nicht in der gewählten Dramaturgie. Fahrzeiten werden hemmungslos überschätzt, vorhergesagte 2 Stunden dauern meist eine, obwohl man bei erlaubten 100 lieber 70 fährt, warum auch immer. Auf den bis zu 6-spurigen Strassen ist es kein Problem, sich in der längsten Schlange anzustellen, die ist meist in der Mitte, und offensichtlich die sicherste, Spurwechseln sind etwas ungewisses. Offensichtlich herrscht eine latente Angst vor dem Zu-Spät-Kommen. Mein Kollege war jeden Morgen um kurz nach 6 im Hotel, obwohl wir erst um ¾ 8 fahren wollten, es könnte ja einen Trafic Jam geben. Und erstaunlicherweise kennt sich keiner in der Stadt aus, meine Kollegen fahren immer nach Navi, obwohl selbst ich den Weg schon alleine finden würde, und verfahren sich noch dabei.

Zu sehen gibt es Geschäfte in Unmengen, die grösste Touristengruppe sind Chinesen, zu Gunsten der Handelsbilanz wurden sogar die Visabestimmungen gelockert. Der Renner sind Kosmetika, und Schönheitsoperationen. Die koreanischen Frauen sind durchaus attraktiv, laut unseren Kollegen ist allerdings meist irgendwas im Gesicht nicht echt. Und natürlich gibt es Massen an Restaurants, meist ist man Fleisch. Man bestellt vorzugsweise ein Set Menu, und kann dabei angeben, wie lange das Essen dauern soll. Sobald der Kellner weiss, ob das Essen für 1, 1,5 oder 2 Stunden geplant ist, steuert er die Geschwindigkeit der Gänge entsprechend. Und das klappt auf 5Minuten genau!

Ein bisschen Kultur gibt es auch, aber wirklich nur auch. Für den altertumsgewohnten Europäer ist es gewöhnungsbedürftig, entweder frisch renovierte oder wiederaufgebaute Paläste anzusehen, es wirkt eher wie ein Freiluftmuseum. Immerhin gibt es eine Palastwache, die Idee stammt vermutlich aus London:

   

Beeindruckend war der Abend im Nanta Theater, einer Rhythmus Koch Show. Leider kann ich hier keinen Youtube Link testen, wer will, kann mit dem Link anfangen: http://nanta.i-pmc.co.kr/Nanta/en/Multimedia/BoardMovie.aspx?Id=15. 3 Köche und ein Neffe des ekligen Managers müssen überraschend in einer Stunden 6 Hochzeitsmenüs zaubern, darunter eine Köchin mit dem Namen ‚Hot Sauce‘. Beim Trommeln mit scharfen Messern fliegen die Kopfsalatstücke bis ins Publikum.

Einen coolen Fernsehturm gibt es, von dort ist der Blick auf die Stadt bei Sonnenuntergang beeindruckend, wann auch sonst. Wir sind genau 8.142 km von daheim weg.

 

Übrigens habe ich in der Zeitung einen netten Bericht zum Urteil des Verfassungsgerichts über die Eurobonds gelesen: ‚a court in a small, sleepy town will decide …‘.

Fazit: Seoul ist ganz nett, es fehlt das Flair oder der Charakter einer Stadt wie Shanghai (of course!), Tokyo, Hanoi, oder von mir aus München (wenn man Kleinstädte mitzählen darf).

Beim Heimflug war ich 3 Stunden vor Abflug am Flughafen, ich sollte rechtzeitig losfahren, wegen Traffic Jam!

02.09.2012 – Eindrücke

Dienstag, 04.09.2012

Nicht jeder Tag ist ein Kracher, aber fast jeder, ich schreib‘ mal ein paar zusammenhanglose Eindrücke auf:

Die Schule hat begonnen, d.h. in unserer Strasse steht jetzt jeden Morgen vor jedem Compound ein vollwertiger Reisebus, um auf die Minute pünktlich abzufahren. Die Kinder werden von der Bus-Ayi eingesammelt und genauestens bewacht, perfekte Organisation. Bei uns steigen in das 50 Mann-Gefährt immerhin 8 Kinder ein, mehr haben wir leider nicht zu bieten.

Der Elternabend verläuft nicht anders als zu Hause auch. Ich hatte erwartet, dass die gelangweilten Expatfrauen sich um den Schulfunktionärsjob reissen, aber weit gefehlt. Offensichtlich ist er mit viel Arbeit verbunden und gar nicht beliebt. D.h. am Schluss gab es ein Ergebnis, aber nicht weniger zäh.

Interessanter sind die informellen Expat-Hierarchien, die Punkte werden vergeben nach Compound, Ayi Voll- oder Teilzeit, Fahrer ja/nein und wenn ja, an 5 oder 7 Tagen und Anzahl der Dienstreisen (definitiv ein Muss für den Vater, ohne zählt wie Hausmann). Alles das gilt es, bei der Vorstellung zügig subtil rüberzubringen, dann kann man in Ruhe weitermachen.

Überraschend die Schule: Ein Schulleiter, der sich vernünftig vorstellt. Jeder Lehrer hat eine Name.Vorname Emailadresse der Schuldomain (klingt banal, aber versuch das an einer deutschen Schule: entweder gibt es keine, oder der Datenschutz verbietet die Nennung des Namens, oder ähnlich absurde Argumente), und er antwortet innerhalb eines Tages auch abends um 9. Die Lehrer der gleichen Jahrgangsstufe sprechen die Inhalte ab und gehen dazu miteinander Essen (freiwillig). Vermutlich ist nicht alles ideal, aber der Anfang ist gut. Schick sind die Klassenfahrten: Reisebüros bieten die 1-wöchige Fahrt nach Xi An, Peking, etc als Paket an, auswählen und fertig.

Meine Fahrt in der Früh ins Büro versuche ich demnächst zu filmen. Strassen baut man, indem man grosse Betonplatten 5x5 m² in den Boden giesst. Natürlich brechen die bald, es gibt alle Zustände: Glatt und neu, kleine Löcher, grosse Löcher, und gebrochene Platten, die nicht mal mehr meine GS vernünftig bewältigen könnte, geschweige denn der GL8. Ich weiss, Enduro beginnt da, wo die GS nicht mehr weiterkommt, aber ich will ja nur ins Büro. Manche Strecken lassen sich nur um Schrittempo bewältigen.

Letzte Woche stand ich auf der 4-spurigen Strasse in der Früh im Stau, und dort ist nie Verkehr. Und warum? Markt! Die ersten Stände standen noch auf dem Bürgersteig, die nächsten auf der rechten Spur, irgendwann auf der zweiten, und die Lieferwagen der Bauern dann auf der dritten. Und nur eine offene Spur war doch zu wenig. Es ist unglaublich. Baustellen funktioneren ähnlich, man schüttet den Sandhaufen einfach auf die Strasse vor der Baustelle, die Autos werden schon auf der verbleibenden freien Spur, manchmal auch die Gegenspur, drumherumfahren. Fieser ist verlorene Ladung: Styroporplatten knallen laut, tun aber nichts, Ziegelsteine sind schon unangenehmer, Ytong-Steine bzw. deren Fake auf der Autobahn sind einfach nur gefährlich. Besonders, da das Licht des GL8 den Vergleich mit dem 6 V Käfer nicht scheuen muss.

Schlimm ist das Fahren nachts: Autos ohne Licht gibt es nur noch wenige, Mopeds mit Licht auch nur wenige. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass auf dem unbeleuteten Elektroroller, der ohne Vorwarnung diagonal über die Kreuzung fährt, eine Mutter mit ihrem Kleinkind sitzt. Ich hoffe nur, dass ich sowas nicht mal übersehe, nur weil ich von der Frau mit dem Kinderwagen abgelenkt werde, die diesen auf der linken Spur entgegen der Fahrtrichtung schiebt.

Dagegen: letzter Samstag die Feier meines Kollegen auf dem Dach eines Hauses mitten in Hangkou, bei Vollmond, Blick auf den Pearl Tower, angenehmen 28°C mit einem kalten Bier, cooler geht nicht. Sogar die Mädels waren beeindruckt. Sie wollen jetzt übrigens hierbleiben und hier Abitur machen: die Schule ist besser, und zu Hause gibt es die Klasse nach Unterschreiten des Klassenteilers nicht mehr. Dazu kommt: ihr Klassenkamerad hat sie am Sonntag zu einem Nachmittag in der Stadt abgeholt, aber nicht mit dem Fahrrad und der U-Bahn, sondern mit der schwarzen Limousine und dem Fahrer seines Vaters. Und sie waren nicht Eis essen, sondern auf dem Flaschenöffner (der Preis wäre vermutlich der gleiche gewesen). Und wenn man dann an der Wache am Compoundeingang vorbeifährt, die auchTeenies salutiert, wo gibt es das sonst? Zu Hause salutiert nicht mal die freiwillige Feuerwehr.

Überigens wird es jetzt kühler, die Temperaturen sinken unter 30°C, Jacke nicht vergessen!

29.08.2012 – The Thief

Dienstag, 04.09.2012
Diese Geschichte ist nicht erfunden – zumindest nicht von mir. Das ist allerdings keine hinreichende Bedingung, dass sie auch wahr ist. Leider war ich nicht daheim, d.h. ich kann sie nur weitererzählen, sie geht in etwa so: Es klingelt an der Haustür, und der coole Polizist mit der gläserlosen Brille steht vor der Tür. Strahlend übermittelt er die frohe Botschaft: we caught the thief! Und bittet, sich selbst davon zu überzeugen. 6 (sechs!) Polizisten führen einen ausgemergelten Landsmann in Ketten, vielleicht auch genannt schwere Handschellen, vor, er muss sich vor der Haustür aufstellen und mit beiden Händen (eine geht ja nicht) auf die Hausnummer zeigen: Beweisfoto. Der Dieb ist glücklich überführt, eine der Kameras hat ihn eindeutig beim Klettern über den Zaun gefilmt, er wurde eindeutig identifiziert, und das gibt laut Polizei 20 Jahre. Und alle sind glücklich, dem Ausländer den Erfolg vorführen zu können. Die naive Frage ‚und wo ist das Laptop?‘ wird höflich übergangen, sie stört die gute Stimmung und passt jetzt gerade nicht. Dafür gab es am nächsten Tag ein Flugblatt im Compound, das den Fahndungserfolg, die zusätzlichen Wachen am Zaun und den Austausch des Wachpersonals (schon wieder?) ausführlich beschreibt. Wie würde ich das zusammenfassen, wenn man mich nach meiner Meinung fragen würde? Mit dem Laptopschaden habe ich mich schon länger abgefunden, die Kinder auch, wir haben einen Fahndungserfolg, damit sind alle glücklich und die Situation ist zur Zufriedenheit aller gelöst. Vielleicht nicht aller, denn ich weiss nicht, was mit dem armen Kerl wirklich passiert. Aber mich fragt ja keiner.