21.12.2012 – einmal Baoding und zurück, und die Welt geht unter

Samstag, 22.12.2012

Heute geht die Welt unter! Nach welcher Zeitzone eigentlich, bei mir zuerst, in Europa, oder bei den Mayas? Bei mir ging sie schon in den ersten 3 Stunden unter. Um es vorwegzunehmen: 14 Stunden von Changchun nach Baoding. Normalerweise sind es 2 h Flug und etwa 2,5 Stunden Autofahrt. Diesmal waren es auch 2 h Flug, und 8,5 h Autofahrt, mit allen Rüstzeiten 14 h. In Peking hat es geschneit, nicht viel, aber eben Schnee. Und in China gibt es alles, ausser Winterreifen. Kurz nach dem Losfahren vom Flughafen haben mich meine Kollegen darauf hingewiesen, dass draussen Schnee liegt und es jetzt gefährlich ist. Ich hätte die 2 cm Schneematsch noch nicht als geschlossene Schneedecke interpretiert, aber andere Länder, andere Sitten. Im nächsten Stadium wurde unser Fahrer sichtlich nervös und fing an, die Story von der vermutlich gesperrten Autobahn zu erzählen. Zumindest soweit, wie es meine Kollegen übersetzt haben (so ist das, wenn man in einer Umgebung lebt, in man seine Mitmenschen nicht versteht). Wenn ich etwas nervend finde, dann ist das die Einschätzung ‚vermutlich‘. Im dritten Stadium ist er tatsächlich von der Autobahn runtergefahren, weshalb wir nach 2 h Fahrt wieder im Pekinger Stadtverkehr eingeklemmt waren. Und von da ab sind wir über Stadt- und Dorfstrassen mit Tempo 30 Richtung Baoding - gefahren? Gerollt? Irgendwie halt! Immer parallel zur Autobahn! Als wir sie zum 2 Mal überquert haben, und unter uns der Verkehr stetig dahinfloss, habe ich das Machtwort gesprochen, immerhin war es schon 9 Uhr abends und noch 120 km weit. Ich habe ihn nachdrücklich wieder auf die Autobahn geschickt, wer zahlt, schafft an. An der Mautstelle war die Aussage: die Autobahn ist vermutlich frei! Alles super, bis zum nächsten Stadium: Stau bis zum Stillstand, und zwar tatsächlich, nicht vermutlich. Vermutlich hätte ich vielleicht die Vermutung beachten sollen. Immerhin sind wir noch 2 km weiter als die anderen gekommen, weil wir konsequent hinter dem Krankenwagen mit Blaulicht hergefahren sind. Solange, bis auch der nicht mehr weitergekommen ist. Irgendwann gegen 10 Uhr schoben die ersten Fahrräder an uns vorbei, haben Suppe verkauft, und es hiess, die Polizei hat die Autobahn gesperrt und kontrolliert, vermutlich weil – keine Ahnung. Was jetzt? Mit intensivem Rangieren ein paar Laster umrundet, und wir stehen vor einer Lücke der Mittelleitplanke. Also nix wie durch und auf der anderen Seite wieder zurück. Das bei diesem Manöver Autos von rechts kommen, und die Strasse glatt ist, hindert nicht daran, ohne Beachtung der Vorfahrt im Schrittempo mitten auf die Fahrbahn zu fahren, bei 20 km/h den 3. Gang einzulegen und an der Klopfgrenze zu beschleunigen. Aua – bloss nicht nach hinten sehen, dann passiert nichts! Erinnert an das Kinderspiel: Augen schliessen und such‘ mich sagen. Auf der Gegenspur, also unserer alten Richtung, waren jetzt ganz viele dabei, irgendwie umzudrehen und zwischen Leitplanke und dritter Spur zurückzufahren, trotz entgegenkommender Polizei!? Warum muss ich 200 RMB für falsches Parken zahlen?

Wir also runter von der Autobahn und auf der Landstrasse in die eigentliche Richtung, das nächste und sozusagen das Endstadium. Denn jetzt war es wirklich glatt, und ich meine glatt. Es war so kalt, dass sich die Strasse in eine geschlossene, spiegelnde Eisbahn verwandelt hat. Und es kam, was kommen musste: nach wenigen Kilometern trafen Eispiste, Sommerreifen und eingeschränkte Fahrkünste zusammen, und wir haben eine saubere 720° Pirouette auf’s Parkett gezaubert. Immerhin vollständig, wir hätten direkt weiterfahren können, wenn unser Evel Knievel nicht vor Schreck den Motor abgewürgt hätte. Walter Röhrl wäre das nicht passiert. Ich weiss nicht, was kritischer war, die Drehung oder das Rumstehen danach: es waren viele LKW unterwegs, mit Sommerreifen, auf eisglatter Strasse, und Fahrern, deren Erfahrung vermutlich stark streut. Nun, es ist nichts passiert, wir haben weder eine Strassenlaterne, noch einen Betonkübel, noch einen LKW getroffen, aber ich denke jetzt über eine Gefahrenzulage nach.

Dennoch, die Antwort auf die Frage Mann oder Memme heisst ja bekanntlich immer Memme, also habe ich mich für den Vernunftvorschlag entschieden: wir suchen ein Hotel! Was für eine naive Idee. Erstens ist es am nächsten Morgen auch nicht besser, ausser mehr Verkehr, und zweitens: hier ist nichts, schon gar kein Hotel! Also sind wir weitergeschlichen und ich habe beschlossen zu schlafen, um mir das Grauen nicht weiter ansehen zu müssen. Nicht rausschauen hilft! Um 2 waren wir endlich in Baoding, ich wollte nur noch ins Bett. Wir sind immer wieder stehen geblieben, damit der Fahrer aussteigen und gegen den Schlaf kämpfen kann, das hat meinen Schlaf empfindlich gestört. Und was passiert dann? Statt direkt ins Hotel zu fahren, dirigiert mein Kollege uns zum KFC, er war der Meinung, wir müssten noch was essen! Ich schreib‘ nicht, was ich mir gedacht habe, es war auf jeden Fall das Stadium nach dem Endstadium. Um halb 3 war ich im Bett.

Beim Frühstück haben wir uns für die Rückreise mit dem Zug entschieden, weil vermutlich die Strasse gesperrt sein könnte. Eine Stunde später entschuldigt sich mein Kollege in aller Form, es gab nur noch Stehplatztickets, quasi wie beim Fussballspiel, nur billiger: 25 RMB für rund 200 km. Mir war es egal, Hauptsache ich komme heute noch heim. Mittags grüsste die deutsche Bahn: der Zug fährt wegen dem Wetter nicht. Und ich hatte jetzt viel Zeit, mein Flugzeug fliegt nämlich mindestens 1,5 h später, wenn überhaupt.

Also sind wir mit dem Auto nach Peking gefahren, die Strasse war OK, der Fahrstil aber so, dass ich nicht sagen kann, welche Fahrt nun die gefährlichere war, hin oder zurück. Seit ein paar Tagen steht in der Zeitung, dass sich niemand anschnallt, und es deswegen so viele Verletzte gibt. Wir auch nicht! Erstens gilt Anschnallen in China als unmännlich und ist ein Zeichen von schlechtem Fahrkönnen, zweitens sind die Gurte entweder kaputt, oder dreckig, oder beides. Schon erstaunlich, zu Hause gibt es Kindersitze, Gurte für jeden Meter, und hier, wo es nicht mal einen Notarzt, geschweige denn einen Krankenwagen gibt, wirft der Deutsche alle Angewohnheiten über Bord.

Im Flughafen durfte ich dann nicht in die Lounge, weil die Karte, die ich mir ersessen habe, immer noch die falsche Farbe hat, das Cafe war voll, und ich muss noch 3 Stunden absitzen, aus denen dann 4 geworden sind. Als der CA Pilot beim Aufsetzen dann auch noch zur Pirouette angesetzt hat, hat es mir endgültig gereicht. Er hat es in den Griff bekommen, sonst würden wir jetzt in der Zeitung stehen, so eine S-Kurve habe ich bei der Landung noch nie erlebt, welcome to Star Alliance! Und das am Freitag vor Weihnachten, während meine deutschen Kollegen drüber nachdenken, ob sie auf der Weihnachtsfeier noch einen Glühwein trinken. I am totally beghostert. Übrigens waren die Maya am pragmatischten, sie haben einfach einen neuen Kalender angefangen.