02.08.2014 – Für die Jahreszeit zu kalt

Samstag, 02.08.2014

Früher war alles besser, früher war auch die Zukunft besser (Karl Valentin). Shanghai ändert sich, nicht immer zum besseren. Neueste Errungenschaft: beim Carrefour muss man jetzt 1 Yuan-Münzen in den Einkaufswagen stecken – da kann ich gleich in Deutschland zum Edeka gehen. Als nächstes folgt wahrscheinlich die Mülltrennung. Nachdem ich kurz davor bin, meinen inneren Widerstand zu überwinden und auch Batterien einfach in den Müll zu schmeissen, ist langsam Schluss mit lustig.

Wenigstens gib es noch ein paar Konstanten, die sich vermutlich länger halten. Auf jeden Fall der Verkehr: das Gewühl verschärft sich eher, weil es einfach täglich mehr Fahrzeuge werden: 9.000 pro Monat laut Shanghai Lotterieergebnis. Das Verhalten ähnelt stark meinen Erinnerungen an das Skifahren am Arber: wir haben es damals aktives Anstehen genannt. Hier ist es das gleiche, nur mit Autos und LKW, deren Fahrer zwar nicht mehr unter 15 sind, aber eine ähnliche Fahrpraxis aufweisen wie ich damals auf Skiern, etwa 1 Jahr. Hier ein paar Eindrücke auf dem täglichen Weg zur Arbeit. Interessant ist das dritte Foto: das ist die Strasse der deutschen Schule, die normalerweise in zwei Richtungen befahren wird. Wenn aber in der einen Richtung Stau ist, kommt irgendwann der erste auf die Idee, die Gegenfahrbahn ausnutzen, denn es gilt: me first! und so sieht es dann aus. Muss man sich wohl so erklären, dass der Erfinder des Buddhismus keinen Strassenverkehr kannte, deshalb ist da alles erlaubt.

Dazu ein paar alltägliche Bilder: die Dame mittleren Alters ist ein Unfallgegner eines Taxis, Wie auch immer es passiert und was auch immer passiert ist: Sie wird so lange mit dem schmerzverzehrten Gesicht mitten auf der Strasse stehen bleiben, und sie steht wirklich mitten auf der Strasse, bis ihr irgendwer eine Summe entsprechend ihrer Erwartung in die Hand drückt, vermutlich 200 RMB. Dann wird sie in Sekundenschnelle verschwinden. Der Kontrahent ist ein Shanghaier Taxi, Ein Laowai (westlicher Ausländer) wäre für sie wie ein 6er im Lotto: Schmerzensgeld, Arbeitsausfall und ein neues Moped wären das mindeste, nachdem sie im Dunkeln ohne Licht bei Rot quer vor das Auto gefahren ist.

In der Kantine gibt es weiterhin Fischköpfe. Der Mensch braucht Konstanten im Leben, deswegen ist im Allgemeinen die Sosse in einer Kantine immer die gleiche (Zitat Monaco Franze), bei uns ist es der Fischkopf. Die Zahl der Expats nimmt ab und damit die Zahl derer, die das bizarr finden. Auch wenn sich Aus- und Inländer einig sind, dass das Essen noch Potential hat.

Dann gibt es noch den Mopedhändler unseres Vertrauens, der hier alle mit den E-Scootern versorgt (auch uns, Listenpreis etwa 330 EUR) und am Sonntag so eine Art Jugendtreff geworden ist. Vermutlich werden hier Stromkabel abgesägt und Dioden aufgebohrt. Dazu mein Friseur, der jetzt seine Preise um 50% erhöht hat: von 10 auf 15 RMB. Vielleicht ist das ein Argument für eine Gehaltserhöhung, sonst ruiniert mich der Gang zum Friseur noch. Vielleicht hängt er das Schild nur auf, wenn ich komme. Und nicht zu vergessen die immer wieder interessante und beeindruckende Skyline von Pudong. Die Chinesen hinter dem Gitter sind übrigens keine Strafgefangenen, sondern die Schlange, die auf die nächste Fähre über den Huang Pu (gelber Fluss) wartet, Fahrpreis 2 Kwai. Und wenn man dann spätabends aus der Kneipe kommt, suchen sich die einen ein Taxi (beim letzten Mal nach dem Fussballspiel in der Früh um 3 musste ich 2x wieder aussteigen, weil der Fahrer keinen Bock hatte, zu uns auf’s Dorf zu fahren) und die anderen steigen standesgemäss in ihr vor der Tür wartendes Vehikel: Ausländer ins Taxi, Locals in den Royce. Hätten wir mal was Gescheites gelernt. NIcht zu vergessen: Tanzen ist eine der Lieblingsbeschäftigungen der M,ädels, und zwar abends und am Wochenende, und das überall, auch vor dem Carrefour (der mit den Einkaufswägen).

     

Und, um zum Anfang zurück zu kommen, es ist zu kalt: wir haben 28 bis 32°C, um die Jahreszeit wären 35 bis 38°C normal. Feucht ist es aber weiterhin. Mir ist schon der Kaffee im Mahlwerk der Jura verklumpt, und den Wein haben wir auch wieder durch’s Haus getragen: im Herbst in die Garage, da er auf dem 40°C Boden eher abkocht, im Sommer aus der Garage, da ist es dann zu warm. Ob wir wollen oder nicht, wir brauchen die Klimaanlage, sonst wird die Bude zu feucht und uns verrottet unser Hausstand. Der Grund ist der oder die Taifune, laut meiner Chinesischlehrerin heisst es Taifun, weil der Wind aus Taiwan kommt. Sozusagen ein politisch nicht korrekter Sturm. Im Moment herrsch Warnstufe ‚blau‘, das ist die niedrigste von 4, gestern fuhren keine Züge und viele Flüge fielen aus. Zusammen mit den offiziell angekündigten Militärübungen im August, wegen denen im Moment 25% der Flüge ausfallen und der Rest Verspätung hat. Also eigentlich sollte ich besser Mopedfahren. Leider weiss man vorher nie, welcher Flug ausfällt. Wir werden es sehen, wir begeben uns morgen ins Auge des Tigers: wir fliegen für eine Woche nach Taiwan, dahin, wo der Wind herkommt.

Abschlussbemerkung: dort ist vielleicht mehr Wind, aber es gibt hoffentlich ein vernünftiges Internet. Vor 20 Jahren wäre Internet noch nicht im Sozialwarenkorb gewesen, hier ist es inzwischen zum K… langsam. Und das seit Monaten. Ich freu mich drauf, mal wieder vernünftig eine Seite öffnen zu können. Hier das Testergebnis unserer High Speed Verbindung, wahrscheinlich drängeln sich wieder ein paar andere vor.