11.12.2015 – Alltag 1

Freitag, 11.12.2015

Nachtrag: unser Glühwein war aus französischem Bordeaux von 2014 mit 12,5%, sagte das Etikett.

Ich sollte mal das normale Leben beschreiben, hat man mir gesagt. Sich auf die amüsanten Events zu konzentrieren, ist mein Blog wohl nur bedingt eine Hilfe, wie es sich als Expat so wirklich in China oder Shanghai leben lässt. Deswegen haben anscheinend ein paar Eidgenossen nach dem Lesen meines Blogs entschieden, nicht nach Shanghai zu gehen. Ehrt mich das nun, so einen grossen Einfluss zu haben? Wie konnte ich sie nur verschrecken? Habe mir nun gedacht, ich schreibe mal über das echte, wirkliche Leben, hier ist der erste Versuch:

Der Tag fängt genauso langweilig an wie ‚daheim‘: Aufstehen um kurz nach 6. Die meisten stehen so früh oder noch früher auf, weil der Weg in die Arbeit eine Stunde oder länger dauert, und je später man fährt, desto länger. Abends ist es zum Ausgleich umgekehrt: je später, desto schneller. Sobald ich das kalte Bad (im Winter) überlebt habe (Schlafzimmer und Bad nur zusammen zu regeln, also warm schlafen oder Campingplatzdusche), versuche ich Zeitung zu lesen. Im Internet. Es gibt 3 Zustände: Tagesschau App geht einwandfrei, wunderbar; Tagesschau Text geht, die Filmchen streiken, damit kann ich inzwischen leben; Tagesschau lädt gar nicht, da fängt der Tag schon mal ätzend an. Der dritte Fall tritt immerhin nicht so oft auf. Aber immer öfter. Dann startet die Suche nach Alternativen, SPON geht oft sehr langsam, die Spiegel Filmchen gehen nie, Shanghai Daily geht, nutzt aber nichts. Irgendwann ist die Zeit rum, der Nachrichtenhunger ist befriedigt oder auch nicht, die privaten und ersten Companymails vom deutschen Nachmittag sind zumindest registriert, dann geht es los. Nicht vergessen, save.tv download noch starten! Abends aussichtslos, in der Früh stehen die Chancen besser, einen Film oder Tatort innerhalb 3 Stunden statt 3 Tagen runterziehen zu können. Also ein Muss am morgen.

Der Kutscher steht um 07:30 vor der Tür, der Spass kann beginnen. Im Auto beschäftigt man sich am besten hochkonzentriert mit seinem Chinesischunterricht, den Emails oder sonst irgendwas. Bloss nicht rausschauen. Ich müsste mich bloss fragen, warum bei der Autobahnauffahrt sofort mit zwei 90° Haken der linke Fahrstreifen besprungen wird, egal, ob er voll ist oder nicht (ist er meistens). Es wäre mir peinlich zuzuschauen, wie dem Moped die Vorfahrt genommen wird, und ich fände es grottig, Zweiräder und Autos zu überholen, um direkt danach rechts abzubiegen. Genauso wie das Fahren auf 2 Fahrspuren gleichzeitig, um permanent auf die vermeintlich schnellere zu springen zu können, aber es nie zu tun. Also schaue ich lieber nicht raus und weiss das gar nicht! Das einzige, was sich nicht ausblenden lässt, sind die Schlaglöcher, Trefferrate 90%.

In den letzten 3 Jahren ist der Verkehr schlimmer geworden, der Fortschritt schlägt zu, es gibt immer mehr Autos, also geht es immer langsamer. Habe ich früher ab Autobahnausfahrt ins Büro 7 Minuten gebraucht, ist es jetzt fast eine Viertelstunde. An jeder Ampel, an der früher keiner war, ist jetzt eine Schlange. Vor unserem Gebäude war vor drei Jahren die Strasse leer, dreimal im Jahr wurde auf der Fahrbahn der Reis getrocknet, heute ist sie beidseitig zugeparkt, kein Reis mehr. Karl Valentin sagt zu Recht: Früher war alles besser, früher war auch die Zukunft besser. Das sehen aber sicher nur Karl Valentin und ich so, meine Kollegen hier sehen das ganz anders.

Soviel zu einem normalen Arbeitsbeginn, die nächste Normalität gibt es ein anderes Mal.

So, gleich holt uns unser Fahrer ab, der Muffel, und fährt uns zum Flughafen: Sommerurlaub in Neuseeland!

Allen meinen Lesern wünsche ich Frohe Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr.