29.09.2012 – der schwarze Santana und die Monatskarte

Samstag, 29.09.2012

In jedem Land gibt es Autos, vor denen man sich in Acht nehmen muss. In Italien ist es der legendäre weisse Uno, in Shanghai ist es der schwarze Santana. Jedes Mal, wenn ich den entgegenkommenden Radfahrer umschifft, auf den Handkarren gewartet, den Seitencrash mit dem E-Mobil erfolgreich überstanden habe, und einfach nur weiterfahren will, steht plötzlich ein schwarzer Santana quer vor mir, und bewegt sich mit Schrittgeschwindigkeit so, dass Überholen unmöglich ist (obwohl das in Shanghai eigentlich immer geht). Das ist ein bisschen so wie Harry Potter, es geht nicht mit rechten Dingen zu. Sie tauchen plötzlich auf und sind auf einmal wieder weg. Wer mir das Rätsel auflösen kann, bitte melden. Ja ich weiss, es sind alte Behördenfahrzeuge, die heute als illegale Taxis unterwegs sind, aber das ist, glaube ich, nur Tarnung. Komischerweise sind sie immer gleich dreckig, und der Fahrer ist der Welt völlig entrückt. Oder ist es immer dasselbe Auto, auf das ich treffe? Der Santana wird seit 1983 fast unverändert in China gebaut, vielleicht ist der Fahrer auch von damals. Er ist heute immer noch zu haben, und wird als Taxi gefahren – und die haben alle Farben, nur nicht schwarz. Schwarz sind und waren in China die Fahrzeuge der Offiziellen, die die ersten stolzen Santanafahrer waren. Das weiss ich, seitdem man mir geraten hat, wie alle Chinesen ein schwarzes Auto zu kaufen, das sähe dann aus wie ein hoher Beamter. Zurück zum Thema, erst ist es mir nicht aufgefallen, aber irgendwann war es nicht mehr zu verdrängen. Es hat etwas Magisches. Es scheint eine Armee zu sein, die kontinuierlich unterwegs ist und sich wie von Geisterhand durch den Verkehr bewegt.

Wer ‚schwarzer Santana‘ googelt, der findet ein paar ganz interessante Seiten, darunter ‚Markus in China‘, dort gibt es ein paar Bilder zu Shanghai😉

Und da es verschiedene Möglichkeiten gibt, mit Geistern auf der Strasse umzugehen, ist mir jetzt aufgefallen, wieviel Glück ich habe: jeder, der Autoscooter zu langweilig oder dessen Wii kaputt ist, kann mich gerne besuchen und bekommt einen Tag mit meinem Fahrer gestiftet. Wenn ich die Beinahzusammenstösse als Stunteinlage verbuche, ist es ganz unterhaltsam. Und ich bin privilegiert, ich habe eine Monatskarte…Den armen Kerl, der auf der 3-spurigen G15 10 m nach der Ausfahrt auf der linken Spur stehen geblieben ist und verzweifelt den rechten Blinker gesetzt hat, habe ich vor Schreck nicht fotografiert (und ich dachte, ich sei abgezockt), aber das Bild ist authentisch:

 

Es gibt hier die mysteriöse Zeitverschiebung: ich wache jeden Morgen ohne Schwierigkeiten um halb sechs auf (senile Bettflucht?) und am Abend schaue ich bei gefühlten 22 Uhr auf dieselbe, und es ist schlappe 8 Uhr. Da es sehr früh dunkel wird, kommt es mir wie spät am Abend vor, obwohl der noch gar nicht richtig begonnen hat. Immerhin ist der Vorteil, dass ich mir problemlos den Wecker auf 0 Uhr stelle (Funkwecker auf MESZ ohne Funkempfang) und dann auch ganz easy aufstehe. Wäre zu Hause unmöglich.

Unsere Familie ist noch in der Hochphase. Unsere Kinder finden es toll, sie schreiben durch den Tunnel nach Hause, wie super es hier ist. Meist finde ich sogar den Weg in die Arbeit unterhaltsam, nur manchmal wird es unerträglich, wie stoisch mir kleine, grosse, alte, junge und Kleinkinder vor die Kühlerhaube fahren oder laufen. Mein neues Spiel beim Heimfahren ist, die Zweiräder zu zählen, die mir auf meiner Spur frontal entgegenkommen. Und wenn die Zahl zu gross und es damit zu einfach wird, dann zähle ich nur die mit Kindern unter 1 Jahr auf dem Arm. Wenn es mir gelingt, meinen Tunnel zu bauen, dann verweise ich mal auf meine Fahrfilmchen. Warum auch immer hat meine Tochter das problemlos geschafft, meiner endet immer im Dunkeln.

Zum Abschluss: es wird Winter, heute früh waren es nur noch 21°C, und heute Abend sogar 18°C, brrrrr.

Genug für heute, morgen fliegen wir nach Yunnan und verbringen dort unsere Golden Week.