29.06.12 – Daisy

Sonntag, 01.07.2012

Diese Woche war ich in Changsha, einer Stadt im Westen von Shanghai. Das ist schon deutlich mehr China als Shanghai. Die Strassen sind wieder breit, und auch hier viele viele Neubauten. Die Umgebung ist eher was für den Europäer, es gibt Wald, Hügel, Bäche, nicht ganz wie zu Hause, aber doch eine nette Abwechslung zu Shanghai. Sie wird erkauft mit rund 5°C höheren Temperaturen und Dauerregen. In Shanghai herrschen derzeit 25 bis 30°C, der Traum eines jeden Italienurlaubers, 35°C bei 80% Luftfeuchtigkeit lassen jeden Anzugträger verzweifeln. Vielleicht hat es einen Grund, dass immer nur die Ausländer die Anzüge tragen. Die Chinesen tragen die Firmen-Einheitskleidung, aber halt mit Poloshirt. Dass man vom Westen ein Stück weiter entfernt ist, kulturell betrachtet, geographisch ist es ja näher als Shanghai, merkt man schnell am Essen. Das war meine erste Schildkröte, eindeutig an den Krallen im Topf erkennbar. Hier habe ich entschieden, einen schlechten Kerl zu machen und berufe mich auf ethische Gründe. Am nächsten Morgen dann die Erkenntnis, dass es nur ein chinesisches Frühstück gibt. Das ist zwar sicher gesünder als die europäische Eier-und-Toast Variante, aber dennoch ist es gewöhnungsbedürftig, Reis und Nudeln plus ein paar andere, undefinierbare Dinge zu essen. Und es ist ein wenig Geduld gefragt. Beim Auschecken versuchen fünf Hotelangestellte nach dem Chaosprinzip 10 Ausländer abzufertigen. Es erinnert mich stark an das Hockeyspielen meiner Kinder im Alter von 5 Jahren: da wo der Ball ist, rennen alle hin und versuchen, ihn irgendwie irgendwohin zu bewegen. Da wo der erste Kunde ist, rennen alle hin und versuchen gleichzeitig, nach der Minibar zu fragen, die Adresse abzuschreiben, die Summe auszurechnen und die Kreditkarte einzusetzen. Bis die nächste Langnase ungeduldig nach dem Auschecken fragt. Dann stürzen sich alle fünf auf ihn und beginnen die Prozedur von vorn, bis die vorherige Langnase daraufdrängt, …, bis die nächste Langnase… Und das Spiel geht lange! Mein Auschecken hat schlappe 30 min gedauert.

Heute hat übrigens Deutschland gegen Spanien verloren, um 4:30 in der Früh. Ich wollte mir das Spiel eigentlich ansehen und habe mir den Wecker gestellt. Dann mich aber eines Besseren besonnen und ihn wieder ausgemacht. Um 2:45 Fussball zu schauen, dafür fehlt mir doch die Begeisterung. Habe ich schon erzählt, dass ich jeden morgen um 23:15 aufstehe? Tja, Funkwecker funktionieren in China nicht, d.h. bei wichtigen Terminen bloss nicht verrechnen!

Und dann war heute Daisy bei mir, Daisy ist Studentin und meine neue Chinesisch-Lehrerin. Ich habe wieder etwas gelernt: Chinesen sehen Deutsche als träge, unflexibel und wenig veränderungsbereit an. Ich konnte jetzt nicht wirklich wiedersprechen. Welcher Deutsche wäre schon bereit, sich statt seinen ursprünglichen Namens Daisy zu nennen? Dazu gibt es passend die VW-Werbung ‚Germans are stiff‘, kann jeder mal ausprobieren (der nicht in China ist, da auf Youtube). Es ist immer wieder erhellend, die Klischees der anderen über Deutschland zu erfahren, und davon gibt es eine ganze Menge. Offensichtlich habe ich bei Daisy ein wenig zweifelnd geschaut, sie hat mich gefragt, ob der Name nicht gut wäre, sie hätte ihn gerade erst ausgesucht, und zwar nach der Blume (Gänseblümchen). Ich habe ihr Daisy im Micky Maus Heft meiner Tochter gezeigt. Mal sehen, wie sie beim nächsten Mal heisst.

Zum Thema gesperrt: vorgestern waren nicht nur wie sonst auch Youtube und Facebook nicht erreichbar, oder wie manchmal Google, sogar das Fernsehprogramm DW Asien war dunkel. Ich weiss nicht warum, einfach weg! Und am nächsten Tag wieder da.

Ich habe übrigens ein neues technisches Spielzeug, auf Anraten eines Kollegen habe ich ein Webradio besorgt. Jetzt höre ich mitten in Shanghai Bayern 3, und verfolge gespannt die Staulänge bei Hengersberg (Niederbayern wissen, wo das ist). Dass Internet bringt die Menschheit weiter, noch vor 10 Jahren hätte kein Chinese den Stau bei Hengersberg gekannt!