12.05.2012 – Japan/Kyoto

Samstag, 19.05.2012

Da es mein Job so mit sich bringt, war ich eine Woche in Japan. Auf dem Weg zu Fuss ins Büro war irgendwas falsch, hat ein wenig gedauert, bis ich es realisiert habe: kein Hupen auf der Strasse, kein überfüllter Bürgersteig, und auch keine Gefahr, von vorn oder hinten plötzlich von einem Zweirad überfahren zu werden. Japan ist nicht China, einfach nur ein ruhiges, westliches Verkehrsgeschehen. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt. Und irgendwas hat mich irritiert, es waren genau 3 Dinge, so schnell passt sich der Mensch an seine Umgebung an: Familien haben mehr als ein Kind, an der Ampel bleiben alle stehen, wenn die Fussgänger grün haben, und es gibt Mopeds auf der Strasse, und zwar richtige und richtig viele – und auch die warten auf die Fussgänger. In China ist alles drei unvorstellbar.

Obwohl schon mehrmals erlebt, die japanische Perfektion ist einfach irre. Und nun kenne ich auch die Erdbeben-App: Sie monitort die Erdbeben über eine Zentrale, listet alle Beben auf, und bei einem angekündigten Erdbeben der Stärke über 3 in der Nähe meldet sich das Handy. Jedoch meist nur mit einer Vorwarnzeit von 10 bis 20 Sekunden. Als ich meinem Kollegen erzählt habe, dass ich in Japan noch nie ein Erdbeben erlebt habe (stimmt wirklich), war er völlig erstaunt, hat mir sein Handy gezeigt, und siehe da, das letzte war in der letzten Nacht, hat nur keiner gemerkt. Zu dem gesamten Fukushima-Thema kann ich wenig sagen, im japanischen Alltag kommt es nicht vor, und vermutlich muss jeder selbst entscheiden, ob er hinfährt oder nicht. Wenn man mal da ist, macht das Nachdenken auch keinen Sinn mehr, ausser man will eine Woche Heilfasten. Ein Kollege hat mir stolz erzählt, dass er an den vergangenen freien Tagen (golden week, da war es auch einfach, die AKW abzuschalten, ganz Japan kommt in der Zeit zur Ruhe) in der Gegend von Fukushima war, um dort in heissen Quellen zu baden.

Gestern Abend bin ich mit dem Tokaido-Shinkansen nach Kyoto gefahren, der ältesten Linie des Bullet Trains, eröffnet 1964. Ich wollte um 2030 Uhr fahren, die Auswahl war 2029 oder 2039 Uhr, d.h.er fährt jede 10, manchmal auch 6 Minuten, fast 24 h am Tag! Und das bei knapp 300 km/h, Haltezeit am Bahnhof genau 60 Sekunden, dann geht es pünktlich weiter. Der Spass ist nicht billig, aber wo kann man schon auf die Sekunde genau auf einer Kanonenkugel fliegen?

Kyoto habe ich mir per Fahrrad angesehen, man kann für wenig Geld Fahrräder leihen, und damit die Tempel und Paläste erradeln. Die Tempel sind ganz nett, es ist nicht ganz so wie ‚kennst Du einen kennst Du alle‘, ein bisschen aber doch. Wie immer, alles bestens organisiert, d.h. man läuft nicht irgendwie durch die weitläufigen Anlagen, sondern ordentlich auf einem abgesteckten Pfad. Vermutlich fühlen sich die Besucher damit auch sicherer, in dem Herdentrieb vor allem am Sonntag kann man nicht verloren gehen oder sich gar verlaufen. Schick ist die ‚Grüner Tee‘-Pause mit einem als Kuchen getarnten Stück Zucker, die es in jedem Tempel gibt, der etwas auf sich hält. Zu der Nouvell Cuisine verdächtigen Menge passt der Preis, der der gleichen Idee zu entstammen scheint. Macht nichts, es hat was. Dazu gehören die schier endlosen Höflichkeitsformeln, mehrfach wiederholtes arigato gozeimasu, mit einer Satzmelodie, die einem lange im Ohr bleibt. Keine Ahnung, wie oft am Tag eine Bedienung oder ein Mädel an der Rezeption das sagen muss, vermutlich träumt sie nachts davon.

 

Radeln in Kyoto ist eher unjapanisch chaotisch, man glaubt es kaum. Es geht sowohl Bürgersteig wie Strasse, und auf dem Bürgersteig geht in beide Richtungen, egal wie breit, wie voll, und wieviel los. Noch interessanter ist, dass es keinen eindeutigen Linksverkehr auf dem Fahrrad geht. Die Regel, wann wie ist mir verborgen geblieben, vermutlich gibt es keine (sonst würde der Japaner sie ja befolgen). Unterschätzt habe ich anfangs die Entfernung, es war doch weiter als es auf dem Stadtplan ausschaut, und den Verkehr. Zwar fährt einen keiner um, so angenehm ist das Fahren auf den Hauptstrassen dann aber doch nicht. Irgendwann habe ich dann angefangen, in den Parallelgassen zu fahren, das kann ich nur empfehlen, man sieht sehr viel. Die schmalen Häuschen sind die Wohnhäuser, und es ist deutlich entspannter. Und da es ein Schachbrettmuster ist, ist die Orientierung einfach, ich kann nur zum Nachmachen auffordern. Leider hatte ich meine Laufschuhe nicht dabei, es gibt einen prima Pfad am Fluss entlang, das wäre die Chance gegenüber China gewesen.

Im (Touristen-)Stadtteil Gion gibt es neben netten Häusern viele Geishas auf der Strasse. Der Stadtteil ist dafür berühmt, warum es die gibt, musste ich nachlesen: es sind Azubis (Maikos), die dort als Geisha ausgebildet werden. Das erklärt auch, warum es alle Altersklassen von geschätzt 16 bis deutlich älter gibt.

Nach den 2 Tagen Radeln und am Schluss einen Sonnenbrand auf der Nase wollte ich nur noch schnell mit dem Bus zum Flughafen fahren und Heimfliegen. Da ich weder den Weg auf die andere Seite des Bahnhofs gefunden habe, noch danach die Bushaltestelle, war ich genau um 1629 Uhr am Bus, ohne Fahrkarte. Die hat mir noch schnell der nette Gepäckjunge besorgt, damit der Bus nach Fahrplan um 1630 abfahren kann, und planmässig um 1758 am Flughafen ankommt (war dann genau so). Shanghai Airline ist diesmal nur eine ¾ Stunde später geflogen…